In den letzten Jahren haben wir auf unserer Website oft darüber berichtet, dass LRS-Klassen in der Fachwelt ein viel diskutiertes Thema sind. Das betrifft Lehrer, Psychologen und Mediziner, aber auch uns, die wir tagtäglich mit Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichen Schwächen beim Lesen und Schreiben arbeiten.
Leider wird dabei oft nur berücksichtigt, wie Fachleute die LRS-Klassen einschätzen. Nur sehr wenige Fachleute haben persönliche Erfahrungen mit Legasthenie und LRS gemacht und können daher nachvollziehen, was es tatsächlich bedeutet, ein legasthenes oder LRS-Kind zu sein. Die Eltern werden oft nicht ausreichend in den Entscheidungsprozess für oder gegen die Beschulung in einer LRS-Klasse einbezogen. Wenn ein LRS-Stützpunkt die Empfehlung für eine Förderschule ausspricht, muss das nicht unbedingt die richtige Entscheidung sein. Viele Faktoren spielen eine Rolle dabei, ob sich eine LRS-Klasse positiv auf die schriftsprachliche Entwicklung und die Persönlichkeit des Kindes auswirkt oder nicht.
Die LRS-Klassen können eine frühe Separationserfahrung der betroffenen Kinder darstellen. Dieser Punkt wird in der Diskussion zu diesem Thema oft übersehen. Einige Schüler konnten langfristig von einer solchen Beschulung profitieren und machten gute Erfahrungen damit. Unserer Einschätzung nach profitieren leider zu wenige Schüler davon. Manche Erwachsene erlebten diese Klassen als Ausgrenzung und Stigmatisierung.
Was hat es für einen Wert, wenn man Kinder in einer LRS-Klasse beschult und sie das als Ausgrenzungserfahrung erleben? Ist der psychische Schaden, den die Separation in dieser Förderschule verursacht, möglicherweise höher zu bewerten als der positive Effekt in der Lernentwicklung? Sieht so Inklusion und Integration aus? Dies kann man stark bezweifeln.
Die Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten der Kinder sind viel komplexer als das, was derzeit im Schulwesen als „LRS“ bezeichnet wird. LRS-Klassen sind mit unterschiedlichsten Problemen beim Lesen und Schreiben konfrontiert. In solchen Klassen mit 12 oder gar 16 Schülern ist es unmöglich, den Kindern genügend individuelle Aufmerksamkeit zu schenken, so sehr sich die Pädagogen auch bemühen. Kinder mit Legasthenie oder LRS benötigen bei großen Problemen eine 1:1-Betreuung. Dann besteht eine gute Chance, dass sie diese Schwierigkeiten überwinden und langfristige psychische Folgen vermieden werden. Frühe Separationserfahrungen können sich bis in das Erwachsenenalter hinein nachteilig auswirken. Die positiven Erfahrungen einiger Betroffener sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es viele Menschen gibt, die den Besuch einer LRS-Klasse bereuen.
Da sich die Betroffenen sehr unterschiedlich entwickeln, gibt es dazu auch unter Experten kontroverse Meinungen und viel Streit. Dieses Thema polarisiert ähnlich wie manche politische Diskussion unserer Zeit. Wir müssen uns in der Fachwelt mehr mit dem Für und Wider der unterschiedlichen Positionen und Erfahrungen auseinandersetzen, so wie wir auch in unserer täglichen Arbeit die vielfältigen Biografien der Betroffenen erleben.
Es sollte mehr darauf geachtet werden, wie die Betroffenen in ihrer persönlichen Entwicklung unterstützt werden können. Frühe Separationserfahrungen sollten vermieden werden, weil sie sich ungünstig auf die Psyche auswirken können. Bei Überlegungen zu Reformen im öffentlichen Schulwesen müssen diese Aspekte berücksichtigt werden.
Unser Fazit: Die Abschaffung der LRS-Klassen wäre aus ethischer Sicht ein wichtiger Schritt.
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