Schon seit langem wird darüber diskutiert, inwieweit die Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) ein soziales Problem ist. Leider wurde den sozialen Umweltfaktoren als mögliche Ursache der LRS in der medizinischen und psychologischen Forschung zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Faktoren sind oft noch eine unbekannte Dimension bei der Entstehung von Lernschwierigkeiten, die mit den Lernmethoden und der familiären Sozialisierung zusammenhängen. Betrachtet man die Situation von Schülern, die eine LRS-Klasse in Sachsen besucht haben, so erkennt man die große Bedeutung der sozialen Probleme. Viele dieser Kinder kommen aus problembehafteten Elternhäusern.
Diese Punkte werden im Bildungssystem oft ignoriert. Das bessere Verständnis der sozialen Umwelt hilft uns Fachleuten, den betroffenen Kindern die richtige Unterstützung zu geben. Eine Sozialtherapie kann eine wichtige Ergänzung zur Lerntherapie sein. Sie beinhaltet die Arbeit am Sozialverhalten, an der Motivation und an den Lernstrategien, damit der Schriftspracherwerb mehr Freude bereitet und langfristig gelingt. Wenn die sozialen Probleme der Kinder mit LRS nicht richtig verstanden werden, sind viele Hilfsmaßnahmen zum Scheitern verurteilt. Deshalb darf eine gute LRS-Förderung nicht einfach wie eine Lernhilfe durchgeführt werden. Sie erfordert ein vertieftes psychologisch-pädagogisches Wissen über die gesamte kindliche Entwicklung, das familiäre Umfeld und die schulische Lernumgebung. Es ist sehr wichtig, diese soziale Dimension bei der individuellen Bewältigung der LRS zu erkennen und zu beachten.
Heute arbeitet man noch hauptsächlich an der Fehlersymptomatik der Lese- und Rechtschreibprobleme. Dieser Aspekt ist ein wichtiges Puzzleteil zur Kompensation einer LRS. Er reicht aber oft nicht aus, um die Lernprobleme nachhaltig zu lösen, weil der sozialtherapeutische Aspekt nicht in die Lerntherapie einbezogen wird. Hierfür müssen die sozialen Faktoren einer LRS genauer untersucht werden.
Unserer Meinung nach muss eine gute LRS-Förderung auch die sozialen Aspekte mit einbeziehen. So können Probleme, die sich im Sozialverhalten der Kinder zeigen, präventiv kompensiert werden. Die dafür notwendigen Schritte sollten gemeinsam mit den Eltern bereits in der frühen Kindheit angegangen werden. Dieser Prozess wird je nach familiären Gegebenheiten unterschiedlich verlaufen. Er erfordert die Bereitschaft von Eltern und Kindern, die notwendigen Veränderungen mit viel Zeit und Energie anzugehen. Dann sind positive Auswirkungen auch auf die sozialen Faktoren einer LRS möglich.