Viele Eltern tun sich schwer damit, die Schwierigkeiten ihrer Kinder beim Lesen und Schreiben klar zu bezeichnen. Es gibt hierbei keine einheitliche Wahrnehmung, wofür vor allem unsere „postmoderne“ Zeit verantwortlich ist. Früher galten die betroffenen Kinder als lernbehindert oder gestört. Heute sind die Lebenswelten der Familien sehr individualisiert worden. Die Lese-Rechtschreib-Probleme der Kinder werden daher unterschiedlich definiert und wahrgenommen. Darin liegt sowohl eine Chance als auch eine Herausforderung.
Manche Eltern können oder wollen die Lernschwierigkeiten ihrer Kinder nicht realistisch wahrnehmen. Einige bagatellisieren diese, andere überhöhen sie. Aber es gibt auch viele Eltern, die ihre Kinder realistisch einschätzen.
„Es funktioniert halt etwas anders als bei anderen Kindern“. So sagt es ein Vater, der die Probleme seines Kindes einschätzen sollte. Viele Eltern nehmen es so wahr, dass Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwächen einfach anders ticken. Deshalb könnten sie von Eltern wie auch Lehrern mit ihren Lernschwierigkeiten nicht richtig verstanden werden. Oft meint man damit, dass das Kind das Problem sei. Aber das ist nicht der Fall, die Kinder haben nur einen anderen Zugang zum Lesen und Schreiben, der an den Schulen und von den Eltern nicht immer richtig eingeschätzt wird.
Neben der gesundheitlichen Entwicklung der Kinder spielen ihre Eltern eine zentrale Rolle, wie sich die Kinder später im schriftsprachlichen Bereich entwickeln werden. Sie können dabei einen positiven wie auch negativen Einfluss auf die schulische Entwicklung der Kinder ausüben. Das bezeichnen wir als Sozialisation der Kinder.
Die familiäre Prägung der Eltern, d.h. wie sie von ihren Eltern geprägt wurden, beeinflusst ebenso die Wahrnehmung der schulischen Schwierigkeiten ihrer Kinder. Bildungsferne bzw. sozial benachteiligte Familien können nur selten den Fokus auf die schulischen Probleme ihrer Kinder legen. In Familien von Akademikern haben Bildung und allgemeine Kulturtechniken oft einen anderen Wert. Dabei werden Probleme in der Schriftsprache oft als störend empfunden, da diese sich auf die gesamte Entwicklung der Kinder auswirken. Bildungsferne Familien haben oft auch soziale Schwierigkeiten, sodass sie nicht die Möglichkeit haben, besondere Aufmerksamkeit auf die Qualität der Kulturtechniken als „Schlüssel“ zu einem gelingenden Leben zu richten.
Es klingt sehr menschlich, dass legasthene Kindern anders ticken. Ihre Probleme dürfen trotzdem nicht verharmlost werden. Auch das Argument, dass die einfachen Kulturtechniken durch die zunehmende Computerisierung überflüssig werden, führt in die Irre. Diese Techniken müssen zuerst handschriftlich erlernt werden, ehe man sie am Computer oder Tablet anwendet. Die Anforderungen werden ständig steigen, weshalb es auch zukünftig wichtig ist, dass Kinder mit Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben adäquate Hilfe von Eltern, Lehrern und anderen Fachleuten erhalten.