In dieser Besprechung erklären wir das Konzept des Jenaer Lese- und Rechtschreibtrainings von Dr. Thomas Grüning aus Jena und geben eine fachliche Einschätzung darüber ab, ob sich dieses Förderprogramm für Kinder mit Lese- Rechtschreibschwäche oder Legasthenie eignet.
Kurze Information zum Autor
Dr. Grüning beschäftigt sich schon seit 18 Jahren freiberuflich mit der Förderung von Kindern, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben. Bis 2005 war er Lizenznehmer von LOS – Lerninstitut für Orthographie und Schreibtechnik, welches in Deutschland zu den größten kommerziellen Franchise-Nachhilfeanbietern gehört. Nach dieser Zeit führte er die Förderung von Kindern mit seinen eigenen Lernmaterialien durch. Seit 2006 begann er, neben dem Gruppenunterricht im Institut zusätzlich betreute Fernkurse anzubieten und seit 2011 führt er nur noch 12- bis 18-monatige Fernkurse für 70 bis 80 Schüler durch, die überwiegend aus Thüringen stammen.
Die Idee des Konzeptes
Das Motto seines Programms lautet: „Vor Augen führen, statt in den Ohren liegen!“ Er leitet den Schriftspracherwerb der wichtigsten Wortstämme ab, indem die Schüler die richtigen Bilder verinnerlichen. Danach sollen sie die eigene Schreibweise während des Schreibvorgangs fortlaufend mit ihren inneren Bildern und den dort abgespeicherten Wörtern vergleichen. Dieses Konzept basiert nicht auf der sogenannten lautgetreuen Rechtschreibung, wie man sie von Reuter-Liehr kennt. Sondern es fokussiert sich darauf, was man mit den Augen sieht, entsprechend der bekannten Theorie des Wortbildmerkems.
Für diese Methode hat er einen Fernkurs für Schüler der 2. bis 9. Klasse entwickelt. Zuerst werden die Probleme mit einem standardisierten Rechtschreibtest ermittelt, um ein individuelles Fehlerprofil für die Förderung anzulegen. Daraus gestaltet sich dann schwerpunktmäßig die Lese- und Rechtschreibförderung nach dem Jenaer Konzept. Die Kinder werden systematisch nach einem Wortstammsystem geführt (Lese- und Rechtschreibtraining als Ortsführung durch Grundwortschatzhausen), welches sich an den Problemen der Kinder orientiert. Dazu hat er ein eigenes Wörterbuch entwickelt: „das Wörterbuch der wichtigsten Wortstämme“, welches den Schülern das Ziel des gemeinsamen Übens vor Augen führt. Dazu erhalten die Kinder Arbeitsblätter mit selbst entwickelten Lektionen.
Für das Bearbeiten einer 4-seitigen Lektion benötigt das Kind nicht mehr als 20 bis 30 Minuten, was Kindern mit Konzentrationsschwächen nachhaltige Lernerfolge bringen soll. Das Konzept beinhaltet 111 vierseitige Übungen mit Geschichten, Gedichten, Reimwörtern, Wortfamilien, Lückentexten, Morphempuzzles zu allen Wortbausteinen, die einer besonderen Übung in der Rechtschreibung bedürfen.
Unsere Einschätzungen
Was uns sehr gut gefällt – dieses Konzept ist sehr praktisch und kindgerecht. Mit vielen witzigen Illustrationen und lustigen Reimen können Kinder Freude daran finden, sich dem Lesen und Schreiben zu widmen. Die einleitende Erklärung des Konzeptes ist für die Eltern oder Lehrer gut verständlich, es kann sehr schnell in der Förderung umgesetzt werden. Der theoretische Hintergrund des Wortbildmerkens ist in dieser Form in der Fachwelt umstritten, weil es keine Belege dafür gibt, das Legastheniker oder LRS-Kinder durch diese Methode besser lesen und schreiben lernen würden bzw. diese Probleme nachhaltig kompensieren können. Der Autor behauptet: „In der deutschen Rechtschreibdidaktik herrscht die vollkommen falsche Annahme vor, dass es die Aufgabe des Lehrers sei, seinen Schülern beizubringen, wie sie durch eine Lautanalyse der Wörter die richtige Buchstabenauswahl beim Schreiben zu treffen haben, wie sie also etwas, das sie hören, in etwas zu übersetzen haben, das sie dann sehen.“ Diese Herleitung ist mehr als problematisch.
Es sind uns aus der Forschung keine Studien bekannt, die dieses Konzept belegen würden. Das Lernen und Ableiten der Lautlehre in Verbindung mit den Wortstämmen ist nur ein kleiner Teil der komplexen Probleme bei Kindern mit Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben. Daher ist dieser Ansatz mit gewisser Vorsicht zu genießen, da die Förderung entsprechend dem analytisch-synthetischen Modell (Fibel-Methode) eine sprachwissenschaftlich belegte Methode ist. Darum sollten Kinder nicht mit dieser zusätzlichen Methode gefördert werden. Unserer Meinung nach besteht nämlich die Gefahr, dass sie mit der didaktischen Methodik durcheinander kommen. Denn meistens lernen Schüler den Schriftspracherwerb nach der besagten Fibel-Methode oder nach dem viel diskutierten Schweizer-Modell. Darum macht es wenig Sinn, den Kindern noch eine andere Methode beizubringen.
Legasthene Schüler sollten nicht in der Gruppenförderung oder einem Fernkurs betreut werden. Dazu sind die Probleme der betroffenen Schüler viel zu vielseitig. Betroffene Schüler brauchen eine umfassende 1 zu 1 Förderung. Auch die Verbesserung der Leistungen – nach Aussagen des Autors durchschnittlich nach einem halben Jahr um 20 bis 25 Prozentränge und nach einem ganzen Jahr der Förderung durchschnittlich um 30 bis 40 – ist so nicht nachvollziehbar. Eine unabhängige Vergleichsstudie wäre für die Wirksamkeit dieses Programms glaubwürdiger.
Dieses Programm ist für Kinder mit LRS oder Legasthenie nicht zu empfehlen.
Ein eigenes Bild können Sie sich hier machen: http://www.ilr-gruening.de