In diesem Beitrag beschäftigen wir uns mit einem neuen Thema, der Biographiearbeit bei erwachsenen Legasthenikern. Dieser Bereich ist in der pädagogisch-psychologischen Praxis noch relativ neu. Eine zielgerichtete Biographiearbeit kann in der Arbeit mit Betroffenen zur Bewältigung der speziellen Lese-Rechtschreib-Schwäche hilfreich sein, denn nicht alle Probleme müssen immer von einem Psychologen behandelt werden. Eine psychologische Behandlung kann als Ergänzung hinzugezogen werden, damit haben wir gute Erfahrungen gesammelt.
Erwachsene Legastheniker haben unterschiedliche familiäre und schulische Hintergründe. Deshalb ist nach unserer Auffassung die Aufarbeitung der Biografie ein wichtiger Baustein für die Bewältigung der Legasthenie. Die reine Abarbeitung eines Legasthenie-Trainings oder einer LRS-Nachhilfe, wie sie in der Fachwelt üblich ist, ist durchaus kritisch zu sehen. Nur wenn man die Lebensgeschichte der Betroffenen mit ihren Hochs und Tiefs versteht, kann die Legasthenie nachhaltig bewältigt werden. Eine symptomatische Lerntherapie allein ist für die Betroffenen qualitativ nicht ausreichend und bringt nur wenig nachhaltige Lerneffekte.
Erwachsene Legastheniker haben häufig viele Hemmnisse, sich dem Lesen und Schreiben zu widmen. Es ist wichtig, die Ursachen dieser Probleme in ihrem biografischen Kontext herauszufinden. Kennt man diese Ursachen, kann man sie dann schrittweise angehen. Viele Legastheniker haben auch Schwierigkeiten, sich etwas zuzutrauen – obwohl sie mit einer guten Intelligenz und vielen Fertigkeiten ausgestattet sind. Erkennt man, warum die Betroffenen sich so wenig zutrauen, kann man ihr Selbstbewusstsein ganz anders fördern. Erfahrungsgemäß bleiben viele unter ihren Entwicklungsmöglichkeiten, weil sie wissentlich oder unwissentlich von ihrer sozialen Umwelt bzw. dem Schulwesen eine Abwertung ihrer Persönlichkeit erfahren haben. Deshalb trauen sie sich wenig zu und ziehen sich manchmal zurück. Insbesondere wenn ihnen ihr Umfeld signalisiert hat: Du bist zu dumm, um fehlerfrei lesen und schreiben zu können. Das kann gravierende Auswirkungen auf das Selbstvertrauen der Betroffenen haben. Schließlich trauen sich die Betroffenen dann im weiteren Lebensverlauf immer weniger zu. Oft zeigt sich dann ein gehemmter biografischer Wandlungsprozess, der sie nicht eigenständig handeln lässt, sondern sie neigen zu Fremdbestimmung durch andere Institutionen (Eltern, Behörden, etc.). Versteht man diese biografischen Entwicklungen, kann man besser auf weitere Schritte der Veränderung eingehen. Die Betroffenen können dadurch lernen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen und den Wandlungsprozess ihres Lebens selbst zu gestalten. Das kann neben einer gezielten Lerntherapie durch Experten dazu beitragen, die Legasthenie gut zu bewältigen.
Wir haben in den letzten Jahren gute Erfahrungen in der Biographiearbeit mit Erwachsenen in Dresden gesammelt. Ist der Experte selbst betroffen, kann er diese Lebensgeschichten besser verstehen und Lösungsansätze aus eigenem Erleben anbieten.